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Manor

- Novelle -

von Karl Heinrich Ulrichs

 

II.

Da kam ein dänischer Dreimaster, ankerte in Wagö‘s sicherer Bucht, suchte Matrosen für eine Fahrt von zwei Monaten zum Walfischfang. Manor ging an Bord. Den schlankgewachsnen jugendfrischen Burschen nahm der Kapitän sogleich an. Har wollte mit als Schiffsjunge. Lära aber sagte jammernd: »Bist mein einzig Kind! Deinen Vater verschlang mir die See. Du willst mich verlassen?« Har blieb. Manor ging. Das Schiff lichtete die Anker.

Zwei Monate waren verflossen. Es ward schon wieder winterlich. Har bestieg die Klippe, schaute in die Ferne, sah eines Morgens das Schiff kommen, schwenkte freudig das Tuch. Doch es war stürmisch; die Brandung ging hoch. Es steuerte auf die Bucht von Wagö zu. Konnte Wagö nicht erreichen, ward verschlagen in die gefährlichen Riffe von Strömö, strandete vor Hars Augen. Er sah, wie die Schiffbrüchigen mit den Wellen kämpften. Erblickte einen unter ihnen, der mit kräftigem Arm eine Planke ergriff, im nächsten Augenblick aber samt Planke in den Strudel der Brandung hinabgeschlürft ward. Er kannte ihn. Es war Manor.

Viel Leichen trieb die Flut ans Land. Man breitete Stroh auf den Strand, legte sie darauf, Leiche an Leiche. Har half mit, musterte die niedergelegten. Da brachte man auch Manors Leiche, legte sie auf das Stroh. Lag nun vor ihm da mit nassem Haar, aus dem Seewasser emportroff, geschlossenen Augen, kalt, mit erblaßten Lippen und bleichen Wangen, aus denen das Blut gewichen, schlank von Gestalt, im Tode noch schön anzuschaun. »So also, Manor, muß ich dich wiedersehen!« rief er aus, warf sich schluchzend über den geliebten Körper und kostete noch einen Augenblick die Wonne der Umarmung.

Man brachte die Leichen über den Sund; begrub sie noch an demselben Tage in den Sanddünen von Wagö.

   
 

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