Die tatsächlichen Kosten der Verhinderung des Klimawandels
TED Talk von Yuval Noah Harari vom 17.06.2022
Die Fakten auf Deutsch findest Du hier auf sapienship.co
Was Webmaster Jan dazu schreibt, kannst Du hier lesen: Das Ende der WarmduscherTranskript der deutschen Übersetzung
von Birgit Ackermann
Während sich die Klimakrise verschärft, schwanken allzu viele Menschen von der Leugnung direkt zur Verzweiflung. Aber wir sollten die Hoffnung nicht verlieren. Die Menschheit verfügt über enorme Ressourcen, und wenn wir diese weise einsetzen, können wir eine ökologische Katastrophe immer noch verhindern. Lassen Sie uns über Zahlen sprechen. Was würde es kosten, einen Klimawandel katastrophalen Ausmaßes zu verhindern? Müssten wir dafür 50 Prozent unseres Gesamtbudgets einsetzen? Dreißig Prozent? Zehn Prozent?
Natürlich weiß das niemand so genau. Mein Team und ich haben Wochen mit dem Durchforsten von Berichten und wissenschaftlichen Abhandlungen verbracht, ein Leben in einer Wolke aus Zahlen. Doch während die Modelle hinter den Zahlen schwindelerregend komplex sind, sollte uns das Endergebnis aufmuntern. Die meisten Experten kommen auf die Zahl zwei Prozent. Wenn die Menschheit ihre jährlichen Investitionen in saubere Technologien und Infrastruktur um etwa zwei Prozent des globalen BIP erhöht, sollte das ausreichen, um einen katastrophalen Klimawandel zu verhindern.
Wenn Sie wissen wollen, wie die Experten auf diese Zahl gekommen sind, können Sie gerne die Website von Sapienship.co besuchen.
Wir können natürlich endlos über die genaue Zahl streiten und die Modelle auf diese und jene Weise optimieren. Aber wir sollten uns das große Ganze ansehen. Die entscheidende Nachricht ist, dass der Preis zur Verhinderung der Apokalypse im niedrigen einstelligen Bereich des jährlichen globalen BIP liegt. Selbst die pessimistischsten Modelle schätzen ihn im Allgemeinen auf unter fünf Prozent. Und die meisten Modelle gehen davon aus, dass nur zusätzliche zwei Prozent des globalen BIP erforderlich sind, investiert an den richtigen Stellen.
Beachten Sie das Wort Investitionen. Wir reden hier nicht über das Verbrennen von Banknotenstapeln in einer riesigen Opfergabe an die Geister der Erde. Wir sprechen über Investitionen in neue Technologien und Infrastrukturen, wie fortschrittliche Batterien oder andere Technologien zur Speicherung von Solarenergie und modernisierte Stromnetze zur Verteilung der Energie.
Diese Investitionen werden viele neue Arbeitsplätze schaffen und auch wirtschaftliche Möglichkeiten und werden auf lange Sicht vermutlich wirtschaftlich rentabel sein, zum Teil durch eine Senkung der Gesundheitskosten und da sie Millionen von Menschen vor Krankheiten bewahrt, die durch Luftverschmutzung verursacht werden.
Da Öl und Gas außerdem oft autokratische und militaristische Regime stützen, wird die Verringerung unserer Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen ein großer Segen für die Demokratie und den Frieden sein.
All dies lässt sich in einen konkreten politischen Aktionsplan übersetzen. Wir haben in den letzten Jahren gelernt, unser Ziel durch eine Zahl zu definieren: 1,5 Grad Celsius. Die Mittel dafür können wir festlegen durch eine andere Zahl: zwei Prozent. Verstärkte Investitionen in saubere Technologien und Infrastruktur um zwei Prozentpunkte des globalen BIP über dem Niveau von 2020.
Im Gegensatz zu den 1,5 Grad Celsius, die einen wissenschaftlich soliden Schwellenwert darstellen, stellt die Zwei-Prozent-Zahl natürlich nur eine grobe Schätzung dar. Sie sollte als ein ungefährer Wert verstanden werden, der helfen kann, den Rahmen zu entwerfen für die Art des politischen Projekts, das die Menschheit braucht. Sie sagt uns, dass die Verhinderung eines katastrophalen Klimawandels ein absolut machbares Projekt ist, auch wenn es offensichtlich eine Menge Geld kosten würde.
Da das weltweite BIP im Jahr 2020 etwa 85 Billionen US-Dollar betrug, sprechen wir über eine Zahl von rund 1,7 Billionen US-Dollar. Aber das sind immer noch nur zwei Prozent. Das bedeutet, dass wir, um die Umwelt zu retten, nicht die gesamte Wirtschaft zum Entgleisen bringen oder die Errungenschaften der modernen Zivilisation aufgeben müssen. Wir müssen nur unsere Prioritäten richtig setzen.
Die Verpflichtung zu zwei Prozent des jährlichen globalen BIP ist natürlich bei Weitem nicht alles, was wir tun können. Es wird nicht alle unsere ökologischen Probleme lösen, wie zum Beispiel die Ozeane voller Plastik oder den Verlust der Artenvielfalt. Und selbst zur Verhinderung eines katastrophalen Klimawandels müssen wir dafür sorgen, dass die Mittel an den richtigen Stellen eingesetzt werden und dass die neuen Investitionen nicht ihre eigenen negativen ökologischen oder sozialen Folgen haben.
Wir müssen auch einige unserer Verhaltensweisen und Denkweisen ändern, von unserer Ernährung bis hin zu unserer Art zu reisen. Das alles wird nicht einfach sein. Aber das ist genau der Grund, warum wir Politiker haben. Ihre Aufgabe ist es, sich mit den schwierigen Dingen zu befassen. Und Politiker sind wirklich sehr geschickt darin, zwei Prozent der Mittel von hier nach dort zu verschieben. Das tun sie die ganze Zeit. Der Unterschied zwischen der Politik von rechten und linken Parteien beläuft sich oft auf ein paar Prozentpunkte des BIP. Angesichts einer großen Krise verschieben die Politiker sehr schnell weit mehr Ressourcen zu deren Bekämpfung.
Zum Beispiel im Jahr 1945 gaben die USA etwa 36 Prozent ihres BIP für den Sieg des Zweiten Weltkriegs aus. Während der Finanzkrise 2008-2009 gab die US-Regierung etwa 3,5 Prozent des BIP, um Finanzinstitute zu retten, die als „zu groß zum Scheitern“ eingestuft wurden. Vielleicht sollte die Menschheit auch die Regenwälder des Amazonas als „zu groß zum Scheitern“ einstufen.
Lassen Sie uns ein Gedankenexperiment machen. Bei dem derzeitigen Preis für gerodetes Land im Regenwald in Südamerika und der Größe der Amazonas-Regenwälder würde es etwa 800 Milliarden Dollar kosten, den gesamten Regenwald zu kaufen, um die lokalen Wälder, biologische Vielfalt und menschliche Gemeinschaften vor zerstörerischen Geschäftsinteressen zu schützen oder eine Einmalzahlung von weniger als einem Prozent des globalen BIP.
Allein in den ersten neun Monaten des Jahres 2020 haben Regierungen auf der ganzen Welt Konjunkturmaßnahmen im Wert von fast 14 Prozent des globalen BIP angekündigt, um der COVID-19-Pandemie zu begegnen. Wenn die Bürger sie stark genug drängen, können die Politiker dasselbe tun, um die ökologische Krise zu bewältigen. Das können auch Investmentbanken und Pensionsfonds. Pensionsfonds halten über 56 Billionen US Dollar. Was nützt dir eine Rente, wenn du keine Zukunft hast?
Gegenwärtig sind die meisten Unternehmen und Regierungen nicht bereit, die zusätzlichen zwei Prozent zu investieren, die notwendig sind, um einen katastrophalen Klimawandel zu verhindern.
Wohin fließt das Geld stattdessen? Nun, alle zwei Jahre werden etwa 2,4 Prozent des weltweiten BIP für Lebensmittel ausgegeben, die dann weggeworfen werden. Außerdem geben die Regierungen etwa 500 Milliarden US-Dollar jährlich für - aufgepasst - direkte Subventionen für fossile Brennstoffe aus. Das bedeutet, dass alle 3,5 Jahre Regierungen einen fetten Scheck ausstellen über einen Betrag in Höhe von zwei Prozent des jährlichen globalen BIP und ihn der fossilen Brennstoffindustrie schenken.
Und es wird noch schlimmer: Wenn man die sozialen und ökologischen Kosten einberechnet, welche die fossile Brennstoffindustrie verursacht, für die sie aber nicht zur Kasse gebeten wird, dann erreicht die Höhe dieser Subventionen tatsächlich einen erschütternden Wert von sieben Prozent des jährlichen globalen BIP.
Betrachten wir nun die Steuerhinterziehung. Es wird geschätzt, dass das Geld, das von den Wohlhabenden in Steueroasen versteckt wird, etwa 10 Prozent des weltweiten BIP ausmacht. Jedes Jahr werden weitere 1,4 Billionen Dollar an Gewinnen von Unternehmen im Ausland versteckt, das entspricht 1,6 Prozent des weltweiten BIP. Um die Apokalypse zu verhindern, müssen wir wahrscheinlich einige neue Steuern erheben. Aber warum beginnen wir nicht mit dem Eintreiben der alten Steuern?
Solche Beispiele lassen sich beliebig fortsetzen. Aber Sie verstehen, was ich meine. Das Geld ist da. Natürlich ist das Eintreiben von Steuern, das Stoppen von Lebensmittelverschwendung und das Kürzen von Subventionen leichter gesagt als getan, vor allem wenn man es mit einigen der mächtigsten Lobbys der Welt zu tun hat. Aber es bedarf keines Wunders. Es erfordert lediglich eine entschlossene Organisation.
Wir sollten also nicht in Schwarzseherei verfallen. Wann immer jemand sagt, „Es ist zu spät, die Apokalypse ist da,“ entgegnen Sie: „Nein, wir können sie aufhalten mit nur zwei Prozent“. Und wenn die COP 27 im November 2022 in Ägypten zusammenkommen, sollten wir den anwesenden Politikern sagen, dass es nicht genug ist, vage Versprechungen für eine Zukunft mit 1,5 Grad Celsius zu machen. Wir wollen, dass sie ihre Stifte zücken und einen Scheck unterschreiben über zwei Prozent des jährlichen globalen BIP.
Ich danke Ihnen.
Yuval Noah Harari