Lysis
- Sokrates erzählt -
von Platon
B. Hauptteil: 5.
a) Das erste Befreunden als Grund und Ziel aller Freundschaft
Gut, sprach ich. Da wir nun hier angekommen sind, Kinder, so laßt uns wohl Acht geben, daß wir nicht betrogen werden. Denn, daß nun Freund dem Freunde freund geworden ist, lasse ich gehn, obgleich so das Ähnliche dem Ähnlichen freund wird, welches wir für unmöglich erklärt haben. Dieses aber laßt uns wenigstens erwägen, damit nicht das jetzt angenommene uns betrüge. Der Arzneikunst, sagten wir, ist man freund um der Gesundheit willen?
Ja.
Also ist man auch der Gesundheit freund?
Allerdings.
Wenn aber, so ist man es um etwas willen?
Ja.
Und zwar um etwas willen dem man freund ist, wenn auch dies dem vorhin angenommenen folgen soll.
Allerdings.
Also auch jenem wird man freund sein um eines Andern willen, dem man freund ist?
Ja.
Müssen wir also nicht müde werden, so umher zu gehen, und bei einem Anfange ankommen, der nicht wieder auf eine andere Freundschaft zurückführt, sondern auf jenes selbst geht, dem wir zuerst freund sind, allem andern aber nur um seinetwillen freund zu sein gestehen?
Notwendig.
Dies ist es nun eben, was ich meine, daß nur nicht alles, welchem wir um jenes willen freund zu sein bekennen, als bloßes Schattenbild davon uns betrügt, eigentlich aber nur jenes erste es ist, dem wir wahrhaft freund sind. Wir wollen es nämlich so überlegen: Wenn jemand aus etwas sehr viel macht, wie der Vater den Sohn pflegt allen andern Dingen vorzuziehen; kann nicht ein solcher, eben deshalb, weil ihm der Sohn über Alles geht, sich auch aus etwas Anderem sehr viel machen? Etwa wenn er gewahr würde, Jener habe Schierling getrunken, würde er sich dann nicht sehr viel aus Wein machen, indem er glaubte, dieser könne den Sohn retten?
Was wird er nicht? sagte er.
Ja auch aus dem Gefäß, worin der Wein wäre?
Auch wohl.
Achtet er aber deshalb keines von beiden höher, den tönernen Becher oder seinen Sohn? Die drei Maß Wein oder seinen Sohn? Oder verhält es sich nicht vielmehr so. Alle solche Sorgfalt geht eigentlich gar nicht auf dasjenige, was um eines Andern willen herbeigeschafft wird, sondern auf jenes, um deswillen das Andere alles herbeigeschafft wird. Wenn gleich wir öfters sagen, wir machen uns viel aus Gold und Silber, mag das doch keineswegs das wahre sein; sondern woraus wir uns viel machen, das ist jenes, was sich als das zeigt, um dessentwillen wir das Gold und alles andere Erworbene erwerben. Wollen wir dies behaupten?
Allerdings.
Also auch von dem Freunde gilt dasselbe? Denn wovon wir sagen, daß wir ihm um eines Andern willen freund sind, das benennen wir offenbar nur mit einem fremden Wort, freund aber mögen wir in der Tat wohl nur jenem sein, in welchem alle diese sogenannte Freundschaften endigen.
So wird es sich wohl verhalten, sagte er.
Dem also, welchem wir in Wahrheit freund sind, sind wir es nicht um eines Andern willen, dem wir auch freund wären?
Richtig.