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Lysis

- Sokrates erzählt -

von Platon

 

B. Hauptteil: 1. Sokrates und Lysis: Wie man mit dem Geliebten reden muß

b) Die Klugheit ist Richtmaß bei der Freiheitsbeschränkung

Aber weshalb verwehren sie dir so mit Gewalt glücklich zu sein und zu tun was du willst, und halten dich den ganzen Tag über immer unter Jemandes Befehlen, mit einem Wort, daß du fast gar nichts tun kannst, was du möchtest? So daß, wie es scheint, dir weder aller dieser Reichtum etwas nutzt, denn jeder Andere hat ja mehr darüber zu gebieten als du, noch auch diese so vorzügliche Gestalt, denn auch deinen Körper hütet und pflegt ja ein Anderer: du aber, o Lysis, hast über nichts zu gebieten, und kannst nichts tun was du möchtest.

Ich habe eben, sprach er, noch nicht die Jahre dazu, o Sokrates.

Das mag es wohl nicht sein, o Sohn des Demokrates, sagte ich, was dich hindert! Denn dergleichen, glaube ich, überlassen dir doch der Vater sowohl als die Mutter, und warten nicht erst bis du die Jahre habest, zum Beispiel wenn sie etwas wollen vorgelesen haben oder geschrieben, werden sie es, denke ich, dir eher auftragen als irgend Einem im Hause. Nicht so?

Zuverlässig, sagte er.

Und nicht wahr, hier steht dir frei, welchen Buchstaben du willst zuerst zu schreiben und zum zweiten; und ebenso beim Lesen; und wenn du deine Lyra nimmst, glaube ich, wehrt dir weder Vater noch Mutter, welche Saite du willst, höher zu stimmen oder tiefer, und mit dem Finger zu kneipen oder mit dem Plektron zu schlagen. Oder verwehren sie dirs?

Ganz und gar nicht.

Was mag also nur, o Lysis, die Ursach sein, daß sie dir hier nicht wehren, wohl aber in dem, was wir vorher sagten?

Ich glaube, sprach er, weil ich dieses verstehe, jenes aber nicht.

Wohl, antwortete ich, Bester! Nicht also deine Jahre erwartet dein Vater, um dir alles zu überlassen, sondern welchen Tag er glauben wird, du seist klüger als er, an dem wird er dir sich selbst und alles das Seinige überlassen.

Das glaube ich selbst, sagte er.

Wohl, sprach ich, wie aber der Nachbar? Hat der nicht dieselbe Regel deinetwegen, wie dein Vater? Meinst du, er wird dir sein Hauswesen zu verwalten überlassen, sobald er glaubt, du verstehest dich besser auf die Haushaltungskunst als er, oder er wird ihm dann noch selbst vorstehen wollen?

Er wird es mir überlassen, meine ich.

Und wie die Athener? Glaubst du, sie werden dir nicht ihre Angelegenheiten übergeben, wenn sie merken, daß du Klugheit genug besitzest?

Ich glaube es.

Und beim Zeus, fuhr ich fort, wie wohl der große König? Ob er wohl seinem ältesten Sohn, auf den die Regierung von Asien kommt, wenn Fleisch gekocht wird eher erlauben wird alles in die Brühe zu werfen, was er nur hineinwerfen will, als uns, wenn wir nämlich zu ihm kämen, und ihm zeigten, daß wir uns besser verständen als sein Sohn auf die Zubereitung der Speisen?

Uns offenbar, sagte er.

Und jenen zwar würde er auch nicht das mindeste hineinwerfen lassen, uns aber, wollten wir auch ganze Hände voll Salz nehmen, ließe er doch hineinwerfen.

Wie sollte er nicht?

Wie aber wenn sein Sohn an den Augen litte, ließ er ihn wohl an seinem eignen Augen etwas tun, wenn er ihn für keinen Arzt hält, oder verböte er es ihm?

Er verböte es gewiß.

Uns aber, wenn er uns für Arzneikundige hielte, wollten wir ihm auch die Augen aufreißen und mit Asche einstreuen, würde er doch, meine ich, nicht wehren, wenn er glaubte, daß wir es gründlich verständen.

Du hast Recht.

Würde er nicht auch alles andere eher uns überlassen als sich und seinem Sohne, worin nämlich wir ihm weiser zu sein schienen als sie beide?

Notwendig, o Sokrates.

 

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