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Lysis

- Sokrates erzählt -

von Platon

 

B. Hauptteil: 5.

b) Aufzeigung einer anderen Ursache der Freundschaft: Das Begehren des Angehörigen

Dieses also ist abgemacht, wem wir freund sind, sind wir es nicht um eines Andern willen, dem wir es auch sind. Aber sind wir wohl dem Guten freund?

Mich dünkt es.

Wird also wegen des Bösen das Gute geliebt, und es verhält sich so: wenn von jenen drei eben erwähnten Gattungen, dem Guten, dem Bösen und dem weder gut noch bösen, die beiden andern gesetzt werden, das Böse aber aus dem Wege geschafft wird, und nichts mehr berühren kann, weder Leib noch Seele, noch etwas anderes von dem, was wie wir sagten an und für sich weder gut noch böse ist, wäre dann wohl das Gute uns gar nichts mehr nutz, sondern wäre unnütz geworden? Denn wenn uns nichts mehr schadete, so bedürften wir auch nirgends keiner Hülfe. Und so würde alsdann offenbar, daß wir nur des Bösen wegen dem Guten anhingen und es liebten, weil nämlich das Gute die Arznei ist wider das Böse, das Böse aber die Krankheit. Gibt es nun keine Krankheit mehr, so bedarf man auch keiner Arznei. Ist es wohl so beschaffen mit dem Guten, und wird es wohl so des Bösen wegen geliebt von uns, die wir mitten inne sind zwischen dem Bösen und Guten, hat aber selbst an und für sich gar keinen Nutzen?

Es hat das Ansehn, sprach er, sich so zu verhalten.

Jenes erste also, in welchem sich alle übrigen Dinge endigten, denen wir um eines Andern willen freund waren, hat mit allen diesen gar keine Ähnlichkeit. Denn allen diesen nannten wir uns freund um eines Andern willen, dem wir freund waren; jenes eigentliche aber scheint diesen ganz entgegengesetzt geartet zu sein, indem sich zeigte, daß wir ihm freund sind wegen etwas dem wir feind sind. Würde aber dieses letztere fortgeschafft, so würden wir ihm wie es scheint nicht mehr freund sein.

Mich dünkt nicht, sprach er, nach dem wenigstens, was eben gesagt wird.

Ob man wohl, sprach ich, um Zeus willen, wenn auch alles Böse untergegangen ist, dann nicht hungern wird und nicht dursten und nichts anderes der Art? Oder wird zwar Hunger sein, wenn doch Menschen und andere Tiere sein sollen, aber er wird nicht verderblich sein; und so auch der Durst und die andern Begierden, nur nicht böse werden sie sein, da ja das Böse untergegangen ist. Oder ist es eine lächerliche Frage, was alsdann sein wird und nicht sein? Denn wer weiß es? Dieses aber wissen wir doch, daß auch jetzt schon wer hungert Schaden davon haben kann, auch Nutzen davon haben kann, nicht wahr?

Allerdings.

Nicht auch wer durstet oder etwas anderes dergleichen begehrt, begehrt es bisweilen sich zum Nutzen, bisweilen zum Schaden, bisweilen ohne eins von beiden?

Gewiß.

Also wenn auch das Böse unterginge, wie käme das was nicht böse ist dazu mit dem Bösen zugleich unterzugehn?

Auf keine Weise.

Die weder gut noch bösen Begierden werden also bleiben, wenn auch das Böse untergeht?

Das leuchtet ein.

Ist es aber wohl möglich etwas zu begehren und zu lieben, ohne dem freund zu sein was man begehrt und liebt?

Mich dünkt es nicht.

Also auch wenn das Böse untergegangen ist, wie es scheint, werden wir einigen freund sein?

Ja.

Nicht doch, wenn das Böse die Ursach der Freundschaft war, könnte wohl nach Untergang des Bösen nichts mehr einem Andern freund sein; denn ist eine Ursach weggenommen, so kann unmöglich das noch statt finden, wovon dieses die Ursach war.

Du hast Recht.

Darüber aber waren wir einig, daß wer einem freund ist es auch liebe, und zwar wegen etwas, und wir glaubten damals wenigstens, das weder gut noch böse, liebe so des Bösen wegen das Gute?

Richtig.

Jetzt aber, wie es scheint, zeigt sich wieder eine andere Ursach des Liebens und Geliebtwerdens?

So scheint es.

Ist nun in der Tat, wie wir jetzt sagten, das Begehren die Ursach der Freundschaft, und das Begehrende dem freund was es begehrt, dann wann es begehrt? Alles aber, was wir zuvor sagten vom freund sein war nur Geschwätz, wie ein langes zurechtgelegtes Machwerk.

So wird es wohl sein, sagte er.

Aber, sprach ich, das Begehrende begehrt doch das, was ihm fehlt. Nicht wahr?

Ja.

Wem also etwas fehlt, das ist dem freund, was ihm fehlt?

Mich dünkt.

Jedem aber fehlt das, was ihm entzogen ist?

Wie anders?

Auf das Angehörige also, wie es scheint, geht Liebe und Freundschaft und Verlangen, wie sich zeigt, o Menexenos und Lysis?

Sie stimmten ein.

Ihr beide also, wenn ihr gegenseitig Freunde seid, müßt irgendwie von Natur einander angehören.

Offenbar, sagten sie.

Und auch sonst ihr Kinder, sprach ich, wo einer des andern begehrt und liebt, er würde ihn weder begehren noch lieben, noch ihm freund sein, wenn ihm nicht der Geliebte angehörig wäre überhaupt der Seele nach oder wegen irgend einer Gesinnung, Art und Eigenschaft.

Gewiß, sagte Menexenos; Lysis aber schwieg. Wohl, sprach ich. Das von Natur angehörige also müssen wir, wie sich zeigt, notwendig lieben?

So folgt es, sagte er.

Notwendig also muß auch der echte Liebhaber, und der sich nicht nur so anstellt, wiedergeliebt werden von seinem Liebling?

Diesem nun wollten Lysis und Menexenos kaum Bejahung zuwinken. Hippothales aber wechselte alle Farben vor Freude.

 

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