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Sicherheit kostet so wenig bei

Nichts wie raus aus dem Schrank

homo.net Info vom 8. Oktober 2020
von Webmaster Jan

 

Seit 1988 findet jährlich am 11. Oktober der Coming Out Day statt, kurz COD genannt. Diesen Sonntag ist es also wieder so weit. Ganz offensichtlich ist sein großer Bruder CSD wesentlich bekannter. Selbst die meisten Schwulen haben vom COD noch nie gehört.

Inzwischen dürfen wir in Deutschland sogar heiraten. Wieso braucht es da noch so etwas Antiquiertes wie Coming-out und dann auch noch einen Aktionstag dafür? Weil noch immer keiner von uns um das Coming-out herumkommt. Jeder von uns hat es entweder hinter sich, steckt gerade mittendrin oder hat es noch vor sich und leidet darunter.

Coming-out ist kein einmaliges Ereignis im Leben eines Schwulen. Außerhalb der Szene hört es ein Leben lang nicht auf. Wir müssen es ständig wiederholen, bei fast allen wichtigeren Person, die wir neu kennenlernen. Noch immer begegnen wir Vorurteilen, die noch aus dem letzten oder vorletzten Jahrhundert stammen.

Drastisch reduziert hat sich deren Häufigkeit mindestens im öffentlichen Leben. Dazu gehören der Stammtisch und das anonyme Internet nicht. Auch Politiker tappen immer wieder ins Fettnäpfchen, wie möchte gern Kanzlerkandidat Friedrich Merz (64, CDU) gerade eindrucksvoll und sehr nachhaltig bewies.

Entweder er weiß tatsächlich nicht, wieso sich alle so aufregen, dann ist er dumm, oder seine Interview Entgleisungen waren ein geplanter PR Gag, dann ist er ein Lügner. Wenn wir Wähler uns zwischen einem dummen oder einem lügenden Bundeskanzler entscheiden müssen, können wir uns nur für einen anderen Bundeskanzler entscheiden.

Auch Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (58, CDU) wurde zum Thema „Entschädigung schwuler Bundeswehrsoldaten“ durch Sachzwänge oder von außen genötigt. Von Herzen kommt diese Gesetzesinitiative nicht. Dafür hat sie sich in der Vergangenheit zu häufig im Fettnäpfchen homophober Gefühle gesuhlt.

Die meisten Politiker sind nicht völlig blöde. Würden sie feststellen, dass anti schwule Entgleisungen ihre Wahlchancen verringern, würden sie bei ihrer Wortwahl höllisch aufpassen. Es sei denn, ihre Homophobie ist tatsächlich noch immer so stark, dass sie beim Schlüsselreiz LGBT innerlich ausrasten und sich äußerlich verplappern. Wir Wähler wählen dann eben einen Anderen. Siehe oben ...

Aber nicht nur die ewig Gestrigen tun sich mit Veränderungen schwer. An deutschen Schulen ist „schwule Sau“ noch immer das häufigste Schimpfwort und synonym für alles, was schlecht ist, vom „schwulen Füller“ bis zu den „schwulen Hausaufgaben“.

Auch heutzutage gibt es noch erstaunlich häufig Schwierigkeiten beim Coming-out, besonders in religiös verbohrten Familien. Das reicht vom Schelten über Stubenarrest bis hin zum platten Rausschmiss. Glücklicherweise gibt es in jeder größeren Stadt Anlaufstellen und Hilfsangebote für die Betroffenen. Das reicht vom beratenden Gespräch bis zur vorübergehenden Unterbringung, wenn sich outende Kinder von ihren verbohrten Eltern tatsächlich aus dem Hause geekelt werden.

Schwule sind eine Minderheit und werden noch immer gerne als Opfer auserkoren. Jahrhunderte alte Vorurteile sterben langsam, wie unsinnig sie auch sein mögen. Wer glaubt, dass die Erde flach ist, hat maximal selber eingebildete und ungebildete Angst, runter zu fallen, wenn er sich zu weit von seinem Tellerrand entfernt. Wer dagegen glaubt, dass Gott zürnt, wenn ein von Ihm erschaffener, junger Mann schwul ist, der schädigt echte Menschen.

Ja, der schädigt nicht nur einzelne Mitmenschen, sondern die ganze Gesellschaft. Denn eine Regenbogen bunte Mischung ist gut für das Gemeinwohl. Das stellen inzwischen auch mehr und mehr große Firmen fest und machen sich stark für inklusive Arbeitsumgebungen, allen voran eine große deutsche Bank.

Germany‘s Top 100 Out Executives, Deutschlands erfolgreichste 100 geoutete Führungskräfte, werden seit 2018 jährlich am Coming-out-Tag veröffentlicht. Hier werden LGBT Führungskräfte ausgezeichnet, die sich in hervorragender Weise für eine Gleichstellung am Arbeitsplatz einsetzen. Sie sind aktive Vorbilder der Arbeitswelt und leisten einen positiven Beitrag zu einer aufgeschlossenen Kultur.

Gründe für LGBT inklusive Geschäftspraktiken gibt es zur Genüge: Die schwule Kaufkraft ist bekanntlich überdurchschnittlich hoch. Wir kaufen nun mal lieber bei Firmen, die uns zeigen, dass wir ihnen wichtig sind. Bunt gemischte Arbeitsgruppen sind nicht nur kreativer, sondern deutlich erfolgreicher.

Häufig halten sich Schwule am Arbeitsplatz bedeckt, selbst wenn sie sich privat vollständig geoutet haben. Sie leben tatsächlich auch heute noch in zwei Welten. Das Doppelleben zehrt, Versteckspiel vernichtet nicht nur Lebensfreude, sondern auch Schaffenskraft. Wenn der Chef erfolgreich klar macht, dass ihm alle biologischen Geschlechter und alle kulturellen Prägungen willkommen sind, verbessert das die Arbeitsbedingungen für alle gewaltig. Und glückliche Mitarbeiter sind bekanntlich bessere Mitarbeiter.

Klar, dass das nicht nur für LGBT gilt, sondern für alle Minderheiten. Stellen Sie fest, ob wirklich alle in Ihrer Firma gleich behandelt werden. Erkennen Sie Schwachstellen, beseitigen sie und kommunizieren diese Änderungen firmenintern. Machen Sie die Integration von Minderheiten zu einem wesentlichen Bestandteil Ihrer Firmenstrategie. Machen Sie diese Integration zur Chefsache und sorgen Sie dafür, dass alle Führungskräfte mitmachen, auch und gerade die nicht schwulen.

Sprache ist durchaus wichtig dabei. Wenn der Onkel zu Besuch kommt, kennt jeder von uns noch die indiskrete Frage an den pubertierenden Knaben: „Hast Du denn schon eine Freundin?“, als wenn ihn das was anginge. Aber der Onkel ist nun mal neugierig. Ganz anders wäre die Situation, würde er fragen: „Hast Du denn schon eine Freundin oder einen Freund?“ Ist der Zögling schwul, lernt er, dass das völlig normal ist. Ist er dagegen hetero, lernt auch der, dass schwul sein völlig normal ist.

Und da sage noch mal jemand, wir würden keinen Coming-out-Tag mehr brauchen. Nichts wie raus aus den Schränken, für alle und gegen jeden Widerstand.

Die Adressen von Beratungsstellen in Deiner Nähe, von Germany‘s Top 100 Out Executives und dem Coming Out Day e.V. findest Du alle auf https://gay-szene.net.

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Jan
Webmaster
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