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Belohnte Homophobie

homo.net Info vom 7. April 2022
von Webmaster Jan

 

Queere Themen in Märchenbüchern machen Kinder nicht schwul, sondern erziehen sie zu sexuell selbstbestimmten, glücklichen Erwachsenen. Ab sofort ist das in Ungarn umstrittene „Märchenland für alle“ auch in Deutsch auf dem Markt. Es kann jetzt auch hierzulande zu Toleranz und Offenheit gegenüber Minderheiten erziehen.

1988 erschien die Single „Burli“ der österreichischen Band „Erste Allgemeine Verunsicherung“ (1977 - 2019). Das Lied handelt vom neugeborenen Burli. Der hat links und rechts gleich 3 Ohren als Folge eines Kernkraftwerkunfalls. Mit zehn Fingern an jeder Hand und gleich vier Händen spielt keiner so schnell Klavier wie er. Auch seine Freundin hat etliche Andenken an Tschernobyl, das zwei Jahre vorher explodiert war. Trotz allem sind sie ein Traumpaar. Zum Traualtar schreitet sie in froher Erwartung. Weil ihr Burli hat auch unten zwei.

Das waren für den bayrischen Rundfunk zu viele Körperteile: Er boykottierte den Hit angeblich wegen Verhöhnung behinderter Menschen. Diese vorweg, um klar zu machen, bei uns ist es noch nicht so lange her, das politische Texte mit blödsinnigen Argumenten vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk ausgegrenzt wurden.

Es war einmal im letzten Jahr wieder ein Hase mit drei Ohren. Diesmal war kein Super-GAU schuld. Er war einfach anders. Einfach so. So wie es vielen geht, die körperlich anders sind oder anders lieben. Das hässliche junge Entlein (1862) von Hans Christian Andersen (1805-1875) lässt grüßen. Von dem hieß es auch: „Im Grunde ist es doch ganz hübsch, wenn man es nur recht betrachtet.“ Und die weise Entleinmutter belehrte ihre normalen Kinder: „Seht, so geht es in der Welt zu!“

Im „Märchenland für alle“ werden 17 fabelhafte Geschichten erzählt. Bund und vielfältig ist dieses Märchenland aus Ungarn. Inklusiv und divers sind diese modernen Märchen. Ob groß oder klein, die ungarischen Autoren helfen sowohl Kindern als auch deren Eltern, Diversität zu erkennen und Gleichberechtigung zu fördern.

Das Buch bricht festgefahrene Rollenbilder auf. Es fördert damit Selbstvertrauen und Toleranz. Ein Prinz auf Brautschau lässt alle Prinzessinnen abblitzen. Erst als ein anderer Prinz um seine Hand anhält, willigt er freudig ein. Dieses ungarische Märchen bringt das Fass zum überlaufen. Die Staatsmaschine reagiert extrem.

Zu viel auch für den ungarischen Staatspräsidenten Viktor Orbán (58) und seine homophobe Fidesz Partei. Das Buch wird für Kinder und Jugendliche verboten. Ein Gesetz gegen LGBT Propaganda, Aufklärung und Bildung wird verabschiedet.

Seit seiner Wahl 2010 zum Ministerpräsidenten schränkt Orbán die Menschenrechte in Ungarn systematisch ein. Seit der Pandemie regiert er per Dekret. Er ist damit Autokrat und regiert de facto wie ein Diktator. Bei seiner zweiten Wiederwahl 2018 ergatterte er mit nur 49 % der Stimmen mehr als die Zweidrittelmehrheit im Parlament. Er hat seither eine verfassungsändernde Mehrheit, da die von ihm eingeführte Regelung der Überhangmandate seine Regierungspartei unverhältnismäßig bevorzugt.

Letzten Sonntag wurde Orbán im Amt bestätigt. Mit wiederum nur 54 % der Stimmen holte er wiederum eine absolute Zweidrittelmehrheit. Er kann auch in Zukunft nach Belieben die Verfassung zu seinen Gunsten ändern.

Im Juni 2021 verabschiedete das ungarische Parlament ein Gesetz, das schärfere Strafen für Pädophilie vorsieht und gleichzeitig jedwede Propaganda über Homosexualität unter Strafe stellt, sofern diese Kinder und Jugendliche erreichen könnten. Schon der Gesetzestext ist eine unzulässige, unerträgliche Vermischung von Pädophilie mit der Darstellung von Homosexualität.

Die EU war entsetzt und wollte Sanktionen gegen Ungarn erlassen, Milliarden an Fördermitteln sollen eingefroren werden wegen Missachtung der Menschenrechte mitten in Europa. Aber die Damen und Herren Parlamentarier in Brüssel und Straßburg ließen sich Zeit mit der Umsetzung bis diese Woche. Zwei Tage nach der Parlamentswahl in Ungarn wurden die Sanktionen endlich auf den Weg gebracht.

Die ungarische Opposition war chancenlos ins Rennen gestartet. Sechs Oppositionsparteien hatten sich auf einen gemeinsamen Kandidaten geeinigt, um gegen Orbáns autoritäre Regierung anzukämpfen. Inzwischen sind aber die Wahlgesetze so stark zugunsten der regierenden Partei verändert, dass die Chancen der Opposition von Anfang an minimal waren.

Auch vom EU-Parlament wurde der Autokrat massiv unterstützt. Seit 2010 kommt fast 5 % des ungarischen Bruttoinlandsproduktes aus Subventionen der EU. Viele dieser Förderungen wurden als Schmiergelder benutzt und veruntreut. Orbáns Schwiegersohn erhielt staatliche Infrastrukturaufträge in Höhe von rund 65 Millionen Euro. Auch Orbán selbst wurde während seiner Präsidentschaft zu einem der wohlhabendsten Bürger Ungarns.

Die EU Sanktionen blieben bis nach der Wahl aus. Wären sie lange vor der Wahl in Kraft getreten, hätten viele Ungarn sich möglicherweise anders entschieden. Wollen wir hoffen, dass die EU endlich Regierungen mit populistisch homophoben Gesetzen wie in Polen und Ungarn abstraft. Auch ein Rausschmiss aus der EU sollte kein Tabu sein für Länder, die in Europa Menschenrechte mit Füßen treten.

„So viel Glück habe ich mir nicht träumen lassen, als ich noch das hässliche Entlein war!“ endet die Geschichte bei Hans Christian Andersen.

Armseliges Europa
Jan
Webmaster
vom homo.net Team

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