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Vom Wahren, Schönen, Guten

homo.net Info vom 27. August 2020
von Webmaster Jan

 

175 Jahre ist es her, das Otto Friedrich Wilhelm von Wittelsbach zur Welt kam. Anlass für fast alle deutschen Medien, sich des Märchenkönigs und seines grandiosen Nachlasses zu erinnern, ihn zu huldigen und die vielen Vorurteile zu kolportieren, von seiner Verschwendungssucht bis zu seinem Wahnsinn, vom angeblich falsch datierten Geburtstag bis zum mysteriösen Ende, das Wesentliche aber möglichst zu verschweigen.

Dabei ist die Faktenlage klar und eindeutig. Seine Regentschaft ist bis wenige Stunden vor seinem Tod genauestens rekonstruierbar. Wir wissen zwar noch immer nicht genau, was die Welt im Innersten zusammenhält, dank seiner umfangreichen Tagebücher aber sehr wohl, was Ludwig II. im Innersten auseinanderriss.

Denn Ludwig war schwul, konnte, wollte und durfte es aber nicht sein. Lange hat er gegen seine Gefühle angekämpft, ein Kampf, dem Deutschland viel verdankt, der ihn marterte, bis er sich fast vollständig aus der Öffentlichkeit auf seine Schlösser zurückzog. Dort umgab er sich mit bildschönen Schauspielern und Lakaien. Besonders gerne hatte er die Stallknechte. Sie rochen wohl eben so streng wie er. Viele seiner Liebhaber sind bis heute namentlich bekannt. Jung und außerordentlich schön waren sie alle, der König eingeschlossen.

Wenige Menschen haben die Gemüter der Deutschen, insbesondere der Bayern, mehr bewegt als er. Als er mit 18 Jahren König Ludwig II. von Bayern wurde, regierte dieser Monarch in einer Art und Weise, wie es die Welt bis dahin nicht gekannt hatte. Gleich bei der ersten Kabinettssitzung machte der Theaternarr und opernverliebte Teenager klar, dass er sich für Krieg nicht die Bohne interessiere, aber das Herbeischaffen des unauffindbaren Genies Richard Wagner höchste staatliche Priorität habe.

Wagner war auf der Flucht vor seinen Gläubigern. Auch wurde er wegen seiner Beteiligung am Dresdener Maiaufstand 1849 steckbrieflich gesucht. Seine Opern Tannhäuser und Lohengrin waren gerade enorm erfolgreich gewesen, aber seine Schulden wuchsen viel schneller als sein Ruhm. Lange blieb die Suche des Königs erfolglos, denn je mehr Polizisten Wagner suchten, desto besser versteckte der sich. Erst als ihm der junge König einen persönlichen Brief sowie ein wahrlich fürstliches Geschenk übersandte, erkannte er seinen Irrtum. Diesmal wurde er nicht wegen Anarchismus oder seiner Schulden verfolgt, da suchte ihn jemand wegen seines Genies, seiner Musik und seiner Poesie.

Fortan war er aller Geldsorgen entledigt. Er konnte nicht nur in luxuriösem Ambiente seine Opern vollenden und mit den besten und teuersten Sängern, Musikern und Dirigenten seiner Zeit aufführen, sondern in Bayreuth sein eigenes Festspielhaus nach seinen fraglos visionären Vorstellungen bauen, gigantisch groß und extrem teuer. Das Gesamtkunstwerk aus Poesie, Musik, Dekoration, Licht und Drama hat seinen großartigsten Tempel auf dem Grünen Hügel in Bayreuth gefunden. Selbst im 2. Weltkrieg wurde dieser Gral der Kunst von den Bomben der Alliierten verschont und wurde ausdrücklich von ihnen nicht zerstört.

Ludwig zahlte alles, selbst als er offiziell die ewige Freundschaft bis zum Tod beenden musste und die Knicker, Knauser und Neider Wagner erneut aus München vertrieben. Ludwig besuchte ihn heimlich und finanzierte ihn weiter, immer aus seiner Privatschatulle. Dass er Unsummen für Kunst, Kultur und Schlossbau verprasste, wissen viele. Dass er all das aus seinem Privatbesitz bezahlte, wissen wenige. Seine Apanage war enorm. Aber für so viel Extravaganz reichte sie natürlich nie. Der exzentrische Junggeselle lebte auf Kredit, den ihm die Politiker immer wieder großzügig gewährten. Denn solange der König mit Musik und Schlossbau beschäftigt war, konnten die regieren, wie sie wollen.

Und das taten sie dann auch mit mäßigem Erfolg. Gegen Ludwigs ausdrücklichen Willen zog Bayern an der Seite Österreichs gegen Preußen in den Krieg. Das Deutsche Reich konnten sie mit dieser Allianz nicht verhindern, denn der Krieg ging verloren. Ludwig hatte sie gewarnt und wollte unbedingt neutral bleiben.

Krieg ist teuer, sehr teuer. Alleine die vergleichsweise sehr mäßigen und bescheidenen Reparationszahlungen, die Bayern an Preußen leisten musste, überstiegen die Baukosten aller Theater, Burgen und Schlösser, die Ludwig je errichtet hat, bei Weitem. Als Ludwig starb, wurde sein Schuldenberg vom Haus Wittelsbach anstandslos zurückgezahlt. Heute nimmt der Freistaat Bayern ein Vielfaches der Investitionskosten alleine als Eintrittsgeldern für die Schlösser ein, ganz abgesehen von der gewaltigen Förderung des Tourismus in Bayern.

Wieso hat Ludwig die überwiegend unbenutzten und leer stehenden Schlösser gebaut? Irgendwo musste die unterdrückte und verdrängte sexuelle Energie hin. Heute sind sich die Psychologen einig, unbefriedigte Sexualität führt leicht in die Sucht. Die einen saufen, andere poppen, poppern, prassen, wieder andere spielen, überarbeiten sich oder bauen Prunkschlösser wie am Fließband, jeder, wie er veranlagt ist und wie er es sich leisten kann.

Inzwischen gilt als gesichert, dass Ludwig keineswegs wahnsinnig war wie sein jüngerer Bruder Otto. Bis ganz zum Schluss zeugten alle seine Handlungen von gesundem Verstand und großartigem Verständnis für die wesentlichen Dinge im Leben. Sein Problem war nicht nur, dass Homosexualität gesellschaftlich völlig tabu war, sondern dass die Welt nicht teilte, was ihm wichtig und heilig war.

Er hat der Welt den Wagner aufgezwungen, Kunst um der Kunst willen, Schönheit um der Schönheit willen. Wo bleiben die Ökonomen, die Kunstliebhaber, die Visionäre? Schlossbau schafft Arbeitsplätze, viele Arbeitsplätze. Er braucht modernste Baustoffe und Bautechniken, fördert Kunst, Handwerk und Gewerbe. Auf den ersten Blick ist es absurd, auf Schloss Linderhof wie im Tannhäuser eine Venusgrotte zu erbauen und sie mit Schwänen aus Lohengrin zu bevölkern. Aber beleuchtet wurde die Grotte elektrisch. Dazu wurde eigens ein eigenes Kraftwerk gebaut. Es war das erste elektrische Kraftwerk der Welt. Schön zu wissen, dass damit ausgerechnet ein Boudoir für viele schwule Orgien ins rechte Licht gesetzt wurden.

Auch Aufzüge, Zentralheizungen und Wasserspülungen fürs Klo wurden eingebaut. Jetzt wundert sich hoffentlich niemand mehr, dass es auch schon Telefon im Schloss gab. Ein besessener Förderer der Moderne, von Wissenschaft und Technik, des Wahren, Schönen, Guten, Kunstmäzen und Kriegshasser, Erneuerer, genialer Investor und unvergessener, berauschend schöner, viel verehrter Märchenkönig!

Nur für seine sexuelle Freiheit konnte und wollte er nicht kämpfen. Zwar war er seiner Zeit in vielem weit voraus, nicht aber weit genug, um homosexuelle Gleichberechtigung durchzusetzen. Als er König wurde, war Homosexualität in Bayern erlaubt. Erst der Zusammenschluss zum Deutschen Reich brachte 1871 den unsäglichen § 175 auch nach Bayern. Als König stand er natürlich über dem Gesetz und brauchte sich um die strafrechtliche Verfolgung seiner sexuellen Eskapaden nicht zu sorgen.

Letztendlich hat er den Kampf gegen das Establishment verloren. Bis zuletzt war er keinesfalls unzurechnungsfähig. Politisch motivierte Ärzten haben bei ihm ohne objektive Fakten Paranoia diagnostiziert, gegen die zweifelnde, objektive Diagnose seines Hausarztes, der ihn lebenslang kannte und behandelt hatte. Seine Entmündigung hat er nur vier Tage ertragen. Dann setzte er seinem außerordentlichen Leben ein jähes Ende. Sein Hausarzt starb mit ihm. Wie genau wissen wir nicht. So wurde Schloss Herrenchiemsee niemals fertig gebaut, mondäne Pläne für eine chinesische Pagode und einen byzantinischen Palast landeten im Museum.

Unvergessen hymnisch,
Jan
Webmaster
vom homo.net Team

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