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Was steckt hinter seiner Maske?

homo.net Info vom 3. Dezember 2020
von Webmaster Jan

 

Der schwule japanische Autor Yukio Mishima gilt als einer der bedeutendsten Künstler und Denker des 20. Jahrhunderts. In seinem Werk verschmelzen traditionelle Werte mit modernen Gedanken. Sie sind avantgardistisch in Form und Inhalt und behandeln insbesondere tabuisierte Themen wie Sexualität, Gewalt und Tod. Vor 50 Jahren starb der Schriftsteller von eigener Hand durch rituellen Selbstmord. Als er starb, gehörte er zu den meistgelesenen Autoren Japans. Sein Freitod erregte weltweites Aufsehen.

Neben Japanisch schrieb er auch in Deutsch, Englisch und Französisch, alles Sprachen die er sich in sehr jungen Jahren autodidaktisch beigebracht hatte. Wir dürfen davon ausgehen, dass er alle wesentlichen Werke der Weltliteratur bestens kannte, insbesondere die Bücher schwuler Autoren wie Oscar Wilde, Hans Christian Andersen, Marcel Proust, das Tagebuch des Grafen von Platen.

Besonders gründlich studierte er Magnus Hirschfeld. Wie viele Schwule schwärmte auch der für Darstellungen des heiligen Sebastian und dessen Leiden in Schönheit. Für Mishima war dies ein deutlicher Hinweis auf sadistische Impulse, die unentwirrbar mit invertierten Empfindungen verwoben seien.

„Bekenntnisse einer Maske“ ist Mishimas zweiter Roman. 1949 erschienen, machte er den Autor mit 24 Jahren international berühmt. Darin schreibt er: „Der Leib des heiligen Sebastians - der wegen seiner Schönheit mit Antinoos, dem Geliebten Kaiser Hadrians, verglichen werden kann - zeigt keine Spuren von Leiden oder Gebrechlichkeit, wie sie bei der Darstellung anderer Heiliger so oft zu finden sind; Licht und Schönheit, Jugend und Freude umgeben ihn.“

Der Roman gilt heute als weitgehend autobiografisch. Er ist der Schlüssel zu Mishimas Leben und Werk. Er hat seine Homosexualität zeitlebens hinter der Maske des Ehemanns und Familienvaters verborgen. Aber in seinen Büchern sprudelt sie frei und ungehemmt, ja tabulos aus ihm heraus. Lediglich bei der Wortwahl packt er seine Leser in Watte. Er schreibt von Inversion, Pfui-Spiel, meiner schlechten Gewohnheit und Myriaden von Spermatozoen.

Der Latrinenreiniger, die Jungfrau von Orléans - deren Abbild er für einen wahnsinnig schönen Ritter hält - der Schweißgeruch der Soldaten, all das bildet das Vorspiel zu seinem schwulen Leben. Kleopatra und die großartig verzierte Zauberin Shokyokusai Tenkatsu - die wie eine große Hure der Apokalypse in ihren Bühnenshows auftritt - erregen in ihm den Wunsch nach weiblicher Kleidung und Make-up.

Seine Vorliebe für Tod, Nacht und Blut lässt sich nicht verleugnen. Visionen erschlagener Jünglinge und Prinzen findet er in den Mythen und Märchen der Weltliteratur. Erstaunlich, wie viele das tatsächlich sind. Sie alle haben eins gemein: Sie werden beschrieben und dargestellt als wahnsinnig schöne Jünglinge.

Wie Augustinus in seinen Bekenntnissen quält den Schreiber auch in den Bekenntnissen (s)einer Maske die frühkindliche Selbstbefleckung. „Über ein Jahr schon litt ich unter der Angst eines Kindes, das mit einem seltsamen Spielzeug ausgestattet ist. Ich war zwölf Jahre alt. Dieses Spielzeug konnte bei jeder Gelegenheit seinen Umfang vergrößern und versprach, bei richtigem Gebrauch, äußerst köstlich zu sein. Doch die Gebrauchsanweisungen waren nirgends aufgeschrieben ...“

Bis dahin, denn Mishima beschreibt sie in großartiger Poesie und drastischem Realismus. Er endet im Anblicke des Heiligen Sebastian: „Als ich an jenem Tage das Bild betrachtete, durchzuckte mich eine heidnische Freude. Das Blut schoss mir ins Gesicht, und meine Lenden schwollen an wie im Zorn. Das monströse Glied war nahe daran zu zerplatzen und verlangte mit brennender neuer Heftigkeit, dass ich es gebrauchte. Dies war mein erstes Mal.“

Für viele seine Schulkameraden schwärmt er, bei den Mädchen merkt er nicht einmal, dass sie existieren. „Romane können sich in der Schilderung von Kuss-Szenen nicht genug tun, aber las ich je etwas über eine Erektion, die bei dieser Gelegenheit stattfindet?“ Fleischliche Begierde ist für ihn normalerweise etwas Logisches. Um sich zu „normalen“ Empfindungen zu erziehen, sucht er mit einem Freund ein gewisses Etablissement auf. „Zehn Minuten später bestand kein Zweifel mehr über meine Impotenz.“

Aber er gibt nicht auf und beschließt, sich wie jeder andere junge Mann grenzenlos zu verlieben. Er umgarnt die Schwester seines Freundes. Seine Maske und die Kraft seiner Einbildung sollen ihm zu unverfälschter Liebe verhelfen.

Ein sinnloses Unterfangen: „Der Hochsommer stachelte meine sexuellen Gelüste an. Sie verzehrten und peinigten mich. Um sie zu ertragen, blieb mir nicht anderes übrig, als wieder bei meiner schlechten Gewohnheit Zuflucht zu nehmen, manchmal bis zu fünfmal am Tag. Mein Wissen war inzwischen durch die Lektüre der Werke Magnus Hirschfelds bereichert worden, der die Inversion als einfaches biologisches Phänomen erklärt.“

Seine Fähigkeit zur Selbstanalyse ist allerdings so beschaffen, dass jede Klärung von vornherein unmöglich ist. Trotzdem schreckt er im Roman vor dem letzten Schritt, der Hochzeit, zurück. In Liebe bleibt er seiner ehemaligen Verlobten freundschaftlich verbunden bis es in einem Tanzlokal zur Apotheose kommt:

Sein Blick fällt auf einen Jüngling mit freiem Oberkörper. Der schweißnasse Leib ist sonnengebräunt, die kräftigen Schultern glänzten, als habe er sie mit Öl eingerieben. Eine Pfingstrose, dem japanischen Symbol für die Frau, trägt er tätowiert auf der Brust. Seine sexuelle Begierde überwältigt ihn. Er kann die Augen nicht mehr von ihm abwenden.

In der Realität heiratete er doch und bekam zwei Kinder.

Unbedingt lesenswert
Jan
Webmaster
vom homo.net Team

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