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Der Liebling meines Lebens
homo.net Info vom 17. Dezember 2020
von Webmaster Jan
Du Liebling meines Lebens,
so begannen viele seiner Briefe. Der polnische Komponist Frédéric (1810 - 1849) wird in Polen als Nationalheld vergöttert. Man schmückt sich gerne mit seinem Namen und seiner Musik. Angeblich war er ein Frauenheld. Er schrieb viele leidenschaftliche Briefe, brachte erotische Liebeserklärungen zu Papier. Sie waren alle an Männer gerichtet. Deshalb sind sie auf wundersame Weise verschwunden oder wurden vorsätzlich falsch übersetzt.
Mit seinem Geliebten Titus Woyciechowski führte er den leidenschaftlichsten und intensivsten Briefkontakt: „Wie immer trage ich Deine Briefe bei mir. Wie wohl wird es mir sein, Deinen Brief hervorzuholen und mich zu vergewissern, dass Du mich liebst. Und zumindest auf die Schrift und die Hand dessen zu schauen, den ich nur lieben kann.“
Die meisten seiner Männerbeziehungen sind bislang weder aufgearbeitet noch erforscht worden. Das wird sich jetzt gewaltig ändern müssen, sehr zum Entsetzen der polnischen Führungselite.
„Du magst es nicht, geküsst zu werden. Bitte, lass es mich heute tun. Du musst mich für den schmutzigen Traum bezahlen, den ich letzte Nacht über Dich hatte.“
Chopin schrieb seinen Männern auf Polnisch. Für viele Forscher ist das eine kaum überwindbare Barriere. Sie sind auf Übersetzungen angewiesen. Viele der Übersetzungen weisen bis heute folgenreiche Fehler auf. Häufig sind polnische männliche Pronomina in Englisch und Französisch mit weiblichen Formen übersetzt worden.
Unglaubliche Massen unbelegter Fußnoten weisen immer wieder auf Frauen hin und suggerieren, dass Chopin von Frauen berichte. Wenn er gelegentlich die Stimme einer Sängerin lobte und nebenbei ihr hübsches Kleid erwähnte, wurde daraus gleich eine „große Liebe“ konstruiert. So lenkte man davon ab, dass Chopin sehr viel Eindeutigeres an Männer geschrieben hat. Das kann man gar nicht vergleichen in Bezug auf Emotionalität und Leidenschaftlichkeit, wo zudem noch expressis verbis von „Liebe“ die Rede ist.
Einige Briefe sind auch sexuell explizit. Es gibt Passagen, wo Chopin über Analspülung sprach und überschwänglich von großen Pissoirs in London schwärmte, in denen er sich herumtrieb. Das mit der Spülung schrieb er als 15-Jähriger einem Kollegen. Es könnte medizinisches Interesse gewesen sein, damals wurden Einläufe als Heilmethode benutzt. Aber wenn Chopin schreibt, „Ich werde Dir die Finesse dieses Rätsels erklären“, sollte man schon genauer untersuchen, was da gemeint ist.
Spätestens bei den Urinalen in London denkt unsereins umgehen an schon damals üblichen Klappensex. Begeistert besuchte er diese stillen Örtchen, wo „alles gebildet, alles gewaschen“ sei. Gelegentlich wurde seine Begierde enttäuscht: „Nirgendwo, wo man gut herumspielen kann“.
Chopin bezeichnete Gerüchte über seine Affären mit Frauen als „Umhang für verborgene Gefühle“. Gerüchte über Verhältnisse mit Frauen wurden übertrieben und Hinweise auf seine Suche nach Sexualpartnern in öffentlichen Toiletten wurden einfach ignoriert.
„Ich gehe mich waschen, küsse mich jetzt nicht, denn ich habe mich noch nicht gewaschen ----- Du? Auch wenn ich mich mit byzantinischen Ölen einreiben würde, würdest Du mich nicht küssen, wenn ich Dich nicht auf magnetische Art dazu zwingen würde. Es gibt irgendeine Kraft in der Natur. Heute wirst Du träumen, dass Du mich küsst.“
Wenn er an Titus schrieb. „Du weißt nicht, wie sehr ich Dich liebe!“, handelte es sich eindeutig um eine exklusive Liebeserklärung. Denn er schrieb weiter: „Ich liebe nur Dich“ und „nur Du hast die Macht über mich“. Anderen schrieb er: „Ich träume immer von Euch.“ Gegen Ende seines Lebens wurde es dann dramatisch. Als Chopin im Sterben lag, raffte er sich noch zweimal auf, um seinem Geliebten Titus Briefe zu schreiben. Er wollte ihn noch ein letztes Mal sehen. Da schließt sich der Kreis.
Das mächtige Warschauer Chopin Institut genießt international den Ruf als „Hort des Wissens“ über Chopin. Weder das Institut noch die vielen renommierten Biografen konnten stichhaltige Belege oder Quellen für Chopins angeblicher Liebe zu Frauen liefern. Seine angebliche Verlobung gehört in die Welt der Sagen. Auch Chopins viel beschriebene „Beziehung“ zur Schriftstellerin George Sand war eher eine Art Zweckgemeinschaft. Mit verschiedenen Männern hat er dagegen immer wieder eng zusammengelebt.
Die Musikwissenschaft hat sich lange schwergetan mit der Homosexualität von großen klassischen Musikern. Auch Franz Schubert, Peter Tschaikowsky wurden Frauenaffären angedichtet. Die einzige Korrespondenz Chopins, die jemals romantische Bindungen an Frauen beschrieb, hat sich als Fälschung herausgestellt.
Wenn es keine Konzerte gibt, haben Konzertkritiker nichts, worüber sie schreiben können. SRF-Musikredakteur Moritz Weber vom Schweizer Radio und Fernsehen holte sich deshalb im Frühling eine 1.200-seitige Sammlung mit den Briefen von Frédéric Chopin ins Homeoffice. Was er in den kommenden Monaten fand und lückenlos nachwies, ist eine musikwissenschaftliche Sensation und ein Politikum aller erster Güte:
Der angebliche Frauenheld Chopin war schwul. In seiner Heimat Polen wird er als großer Sohn des Landes verehrt wie maximal noch der polnische Papst Wojtyła. Nicht nur der Warschauer Flughafen ist nach ihm benannt, auch Straßen, Plätze, Gebäude, ein Musikwettbewerb und ein Institut in Warschau, welches sich ausschließlich seinem Leben und Werk widmet. Da schlägt die Nachricht von seiner Homosexualität bei Polens Politikern wie eine Bombe ein. „Schachmatt für die Rechten“ überschreiben polnische Medien ihre Titelgeschichte zum Thema.
Nur Chopins Mutter war polnisch, sein Vater war Franzose und der junge Frédéric verließ mit 20 Jahren sein Geburtsland für immer, um den Rest seines Lebens überwiegend in Wien und Paris sowie auf Konzertreisen in aller Welt zu verbringen. 1935 wurde er endgültig Franzose. Trotzdem wird er in Polen verehrt wie ein Popstar. Seine Archivare und Biografen haben jahrhundertelang bewusst die Augen vor den homoerotischen Briefen des Komponisten verschlossen, um den Ruf der polnischen Nationalikone nicht zu beschädigen.
Denn seine Homosexualität ist in weiten Teilen des Landes nicht willkommen. Der amtierende Präsident Andrzej Duda (48) hält die LGBT-Bewegung für eine „Ideologie, die schlimmer ist als der Kommunismus.“ Das bornierte Weltbild der homophoben und bigotten Rechten in Polen darf da ruhig mal erschüttert werden. Vielleicht kapiert ja doch mancher endlich, dass die sexuelle Orientierung Privatsache ist und dass ein musikalisches Genie ein Genie bleibt, selbst wenn es gleichgeschlechtlich liebte.
Irrtum ausgeschlossen, Musikredakteur Moritz Weber hat ganze Arbeit geleistet. Alle zitierten Briefstellen wurden neu übersetzt von gleich zwei professionellen Übersetzungsfirmen nach dem Vieraugenprinzip. Die Übersetzungen nach der „ISO 17100“ Norm erfüllen höchste Qualitätsstandards. Das Resultat wurde anschließend von polnischen Muttersprachlern verifiziert. Die Beweise sind also absolut wasserdicht.
Chopin schrieb an seinen geliebten Freund Titus, dass der langsame Satz aus dem f-Moll-Klavierkonzert Opus 21 seine Gefühle für ihn am besten ausdrücke. Kann diese verführerisch-schwärmerische Musik jetzt noch gespielt werden in Ländern wie Russland, wo „Homopropaganda“ verboten ist oder in Polen selbst, das in etlichen Zonen LGBT-frei sein will?
Der Vorteil seiner Musik war auch für Chopin selbst, dass sie keine Worte enthält. Deshalb sind seine berauschenden Klänge nicht offensichtlich homoerotisch, wohl aber erotisch aufgeladen. Das gilt auch für den Walzer, den er für seinen Liebsten Titus schrieb. Er enthalte eine geheime „Stelle“, von der nur Titus wisse, wie es in einem Brief heißt.
Chopin ist weltweit einer der meistgespielten romantischen Komponisten. Es wäre töricht, seine Musik fortan nicht mehr zu spielen, nur weil jemand unwiderlegbar seine homoerotische Männerliebe nachgewiesen hat. Seine Kompositionen klingen ja nach wie vor gleich.
Seine schriftlich überlieferte Liebe zu Männern wird die jetzige Regierung in Warschau in Erklärungsnot bringen. Sie müsste seine Homosexualität offiziell anerkennen. Aber dies wird man wohl weiterhin zu verhindern versuchen.
Oft beendete der Komponist Briefe an seine Freunde so:
Sende mir einen Kuss, lieber Liebhaber
Jan
Webmaster
vom homo.net Team