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Schwule Befreiung

homo.net Info vom 25. Februar 2021
von Webmaster Jan

 

Diese Woche erschien ein Buch von Sebastian Goddemeier: Coming-out. Queere Stars über den wichtigsten Moment in ihrem Leben.

Sebastian Goddemeier wuchs in einer Kleinstadt mit 15.000 Seelen in der Nähe von Münster auf. Dort lernte er, das homosexuell zu sein nicht okay sei. Er wurde jahrelang bedrängt und als Schwuchtel beleidigt. Nach dem Abitur gelang ihm die Flucht in das urbane Berlin.

Hier konnte er seine Sexualität endlich offen ausleben. Die Freiheit wurde schnell zu einem neuen Gefängnis aus ewigen Partynächten mit zu viel Alkohol und zu vielen Exzessen. Drei Jahre später lag er beim Psychoanalytiker auf der Couch und versuche, seine Gefühle zu ergründen, was ihn bedrückte, wieso er sich betäubte.

Erst in einer schwulen Selbsthilfegruppe erkannte er, wieso sein Leben schief lief: Er hatte die Schwuchtel Rufe seiner Jugend verinnerlicht, war noch immer auf der Flucht vor sich selbst. Er lernte, was „internalisierte Homofeindlichkeit“ ist und im Leben vieler anrichtet.

Schwule erlebte er als Jugendlicher vor allem in den Medien. Als Menschen am Rande der Gesellschaft waren sie irgendwie peinlich, asozial und abnormal. Schwule Männer waren ihm deshalb zuwider. Dadurch war er sich selbst zuwider.

Jetzt hat er endlich sein Coming-out geschafft, so konsequent und gründlich wie wenige. Auf 224 Seiten hat er seine und 18 andere Geschichten aufgeschrieben. Das sind Rollenvorbilder, aber auch Menschen, die schlimme Erfahrungen durchgemacht haben und diese in etwas Positives umwandeln konnten. Das Buch handelt von Selbstakzeptanz, Freundschaft und Familie, aber vor allem handelt es von Liebe.

Liebe für sich selbst und Liebe für andere Menschen erlernen queere Menschen allzu oft erst im Erwachsenenalter. „Ich bin fest davon überzeugt, dass Ehrlichkeit mit sich und anderen die Lösung für die meisten Probleme ist. Daraus resultiert Akzeptanz.“

Eine der Geschichten in dem Buch stammt vom stellvertretenden Bundesvorsitzenden der SPD, Kevin Kühnert (31). Diskriminiert wurde er nie wirklich. In seiner Heimatstadt Berlin und im linksliberalen Umfeld der SPD fand er genügend Vorbilder. „Wenn man mit sich selbst klar ist, fällt es auch viel leichter, Angriffe abzuwehren.“

Besonders der damaligen Regierenden Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit (67, SPD) ist ein „ganz wichtigen Fixpunkt“ in seinem Leben. „Er hat etwas gemacht, was ich vorbildhaft finde: In die Offensive gehen. Insofern war Wowereits Aussage ‚ich bin schwul, und das ist gut so‘ ein Meilenstein für mich“.

Der SPD-Politiker hat sich 2001 mit seinem süffisanten Outing einen Platz in der schwulen Geschichte der Bundesrepublik Deutschland gesichert. Kevin Kühnert war damals erst elf Jahre alt. Obwohl das, wie er sagt, für ihn persönlich ein paar Jahre zu früh kam, habe sich der Satz ja ins kollektive Gedächtnis gebrannt.

Ganz anders die vielen Coming-outs des Comic Zeichner Ralf König (60). Auch er wuchs in einer westfälischen Kleinstadt mit weniger als 50.000 Seelen auf, einem „kleinen, katholischen Bauerndorf“, wie er es nennt. „Die geilen Jungs knutschten hinter der Schulhofmauer die Mädchen ab, ob die wollten oder nicht, und ich hätte meine Großmutter verkauft, um auch so abgeknutscht zu werden.“

Über 60 schwule Comics hat er bisher publiziert. Vier davon wurden bisher verfilmt. Seit dem Sensationserfolg der Filmkomödie „Der bewegte Mann“ (1994) lesen auch Heteros seine Bücher.

Damals, in den 60er und 70er-Jahren waren Schwule unsichtbar. „Schwulsein war ein viel zu großes Tabuthema, da kam mir als Kind und Jugendlicher nicht viel zu Ohren außer doofen Detlef-Witzen.“ Diese Witze, die er in der Schule immer wieder hörte, zeigten ihm vor allem eins: Schwul sein, das möchte man nicht.

Als er seinem Jungenschwarm „Franz Josef“ quer über die Wiese zubrüllte, dass er ihn liebe, war er so besoffen, dass seine Schulfreunde sein verzweifeltes Coming-out nicht weiter ernst nahmen. Unter Angstschweißausbrüchen kaufte er ein Schwulenmagazin am Bahnhofskiosk und holte sich endlich die Information, die sein Leben veränderte.

Ziel seiner Reise war damals das Homolulu-Fesitval in der Bankenstadt Frankfurt am Main, damals auch eine Schwulenhochburg. „Das war, als flöge ich heute nach New York, wir aus der Provinz in meinem VW-Käfer.“ Sie Schwulen dort hatten Spaß. Sie waren dort, um für etwas einzustehen: für ihre Identität, für die Gleichberechtigung von Schwulen. Man wollte Sichtbarkeit erzeugen und klarmachen: Wir sind hier und wir wollen dieselben Rechte wie Heterosexuelle.

Vielen seiner Werke sind autobiografisch und lesen sich für ihn wie sein Tagebuch. Als er sich outete, wurden auch seine Comics schwul. Als er positiv getestet wurde, traute er sich auch in seinen Comics an das Thema HIV. In seinen Geschichten traut er sich, alle Spektren des Lebens in seinen Comics abzubilden - egal, ob Alter, Krankheit oder Tod. Es muss nicht immer alles lustig sein. Privat ist er dagegen eher schüchtern.

Jetzt gibt es Homo-Ehe, offen schwule Politiker und Prominente, viel mehr Infos für jeden im Internet und schwule Serien auf allen Kanälen. „Trotzdem ist es für Jugendliche vor allem abseits der Großstädte wohl immer noch ähnlich schwer, sich zu outen. Leider.“

Selbst als berühmter, erfolgreicher Schwuler ist Ralf König bis heute nicht mit dem privaten Coming-out fertig. Fast täglich passiert es ihm noch, dass er sich outen muss. Aber jedes Mal wird das Leben ein bisschen ehrlicher und entspannter, findet er. Für ihn ist der Moment nach dem Coming-out oft eine Befreiung.

Sein Appell lautet daher: „Hört auf den alten Mann: Macht es, bringt es hinter euch. Es gibt vielleicht kurzzeitig etwas Wirbel, aber das Leben ist danach ehrlicher und entspannter. Ihr habt dann die richtigen Freunde - die falschen sind abserviert. Denn wer was dagegen hat: Tschüss!“

Die Comicbilder von Ralf König findest Du auch im Kontaktforum von homo.net. Trage Dich ein und genieße die schöne, offene, schwule Welt nach dem Coming-out.

http://homo.net/kontakt

Immer mit dabei
Jan
Webmaster
vom homo.net Team

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