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Liebe kennt keine Pause
homo.net Info vom 4. März 2021
von Webmaster Jan
Kaum zu glauben, auch im Jahre 2021 gibt es im deutschen Profifußball keinen einzigen offen homosexuellen Spieler. Um zumindest die Angst davor zu mindern, von den anderen Spielern geschnitten zu werden, sagen 800 Spieler der deutschen Profiligen jetzt homosexuellen Kollegen ihre Unterstützung zu. Solche Erklärungen sind keine Lösung, aber ein Anfang.
Die Solidarität von mehr als 800 Fußballern hat Wellen geschlagen. Doch sie überdeckt auch die fehlende Vielfalt in Klubs und Verbänden. Nicht die Appelle für ein Coming-out sind entscheidend, sondern Trainerausbildung und Selbstkritik von Sponsoren.
Dass das überhaupt noch nötig ist, kann man rund sieben Jahre nach dem Coming-out des ehemaligen Bundesligaprofis Thomas Hitzlsperger (38) nur erstaunlich finden. Der hatte 2014 vier Monate nach dem Ende seiner aktiven Karriere als erster deutscher Fußballprofi bekannt: „Ich bin schwul.“ Kurze Zeit später brach der Server der Zeitungsredaktion zusammen, so groß war das öffentliche Interesse.
52 Mal hat er in der deutschen Nationalmannschaft gespielt, zum Schluss sogar als Kapitän. Wer will da noch behaupten, Schwule könnten und würden kein Fußball spielen? Geschadet hat ihm sein Coming-out nicht, ganz im Gegenteil. Manches sei zwar nervig gewesen, manches aber auch bewegend - wie eine Zufallsbegegnung auf dem Münchner Flughafen. Da kam einer auf ihn zu: „Geschäftsmann, Anzug, Krawatte, Mitte vierzig. Er sagte: ‚Ich muss mich bedanken. Ich habe über Ihr Coming-out in der Zeitung gelesen, und kurz danach habe ich auch meiner Mutter endlich Bescheid gesagt.‘“
Ein Coming-out ist kein Hindernis für eine Spitzenposition im Fußballgeschäft. Inzwischen ist Thomas Hitzlsperger ein gefragter TV-Experte und Funktionär. In großer Sachlichkeit berichteten 2019 die Medien, dass der VfB Stuttgart ihn zum neuen Sportvorstand gemacht hat. Seine sexuelle Orientierung wurde nicht erwähnt. Warum auch, für die Entscheidung spielte sie keine Rolle. Aber man muss sich nichts vormachen. Der Fußball hinkt weit hinter dem Rest der Gesellschaft her.
Die Kommentare in einschlägigen Foren sprechen hier Bände. Auf vielen Fußballplätzen fallen noch immer Bemerkungen wie „schwuler Pass“ oder „Schiri du Schwuchtel“. Das muss aufhören. Noch fehlt vielen das Bewusstsein, dass es homosexuelle Fußballspieler überhaupt in der Mannschaft gibt und man diesen mit homophoben Äußerungen schadet. Offen schwul lebende Mitarbeitende zeigen im Durchschnitt in allen Berufen bessere Leistungen als ihre heimlich liebenden Mitschwestern. Da ist der Fußball keine Ausnahme. Die Fans schaden ihrem eigenen Klub, wenn sie durch offene Homophobie das Coming-out ihrer Fußballgötter verhindern.
Philipp Lahm (37) war einer der besten Fußballer, die wir in Deutschland je hatten. Er war Kapitän der deutschen Nationalmannschaft, als diese 2014 in Brasilien Weltmeister wurden. In seinem gerade erschienenen Buch schlägt der gesellschaftlich völlig falsche Töne an. Er rät jungen Kollegen, mit einem Coming-out zu warten, bis die aktive Phase ihrer Karriere vorbei ist.
Er wolle auf die Gefahren eines Coming-out hinweisen, erklärte er. Man könnte das nun so stehen lassen, als ernüchternde Bestandsaufnahme eines ehemaligen Spielers über den Fußball in Deutschland, wo sich bis heute aus Angst vor Anfeindung und Ausgrenzung kein Profi während seiner Karriere zu outen getraut hat, wäre nicht am gleichen Tag das Magazin „11Freunde“ zum selben Thema erschienen mit der Titelgeschichte „Ihr könnt auf uns zählen“. Über 800 Profis solidarisieren sich für den Fall, dass sich ein homosexueller Fußballer outen sollte, sie ermutigen, anstatt zu warnen. Es wäre besser gewesen, wenn auch Lahm Lösungsansätze vorgeschlagen und seine Unterstützung ausgesprochen hätte.
Der FC Bayern gibt mächtig Gas in seiner Titelhatz, auch die Deutsche Fußball Liga e. V. und die Inhaber der teuren TV-Rechte ziehen mit - nichts soll den Rekordmeister auf dem Weg zur Klub-WM im fernen Katar stoppen. Wieso auch? In Katar werden zwar Menschenrechte mit Füßen getreten und auf Homosexualität steht für Muslime noch immer die Todesstrafe, aber das Geschäft ist nun mal wichtiger.
Beim Vorstandsboss des FC Bayern, Karl-Heinz Rummenigge (65), fragt man sich, wieso Profi Fußballer in Deutschland derzeit vielerlei Vergünstigungen und Ausnahmegenehmigungen genießen und als systemrelevant gelten. Botschafter des guten, teuren Kickens mögen sie ja sein, aber Botschafter für Menschenrechte und gutes Benehmen sind sie nicht.
Anfang Februar wollte der FC Bayern nachts von Berlin nach Katar zur Klub-WM aufbrechen. Schlechtes Wetter verhinderte einen pünktlichen Start. So bescherte das Berliner Nachtflugverbot der Mannschaft mit den edlen Kickern eine Nacht in der Nobelklasse von Qatar Airways. Die war fünfmal in Folge zur besten Airline der Welt gewählt worden. Rummenigge fühlte sich „total verarscht“, dass für ihn und die seinen nach Mitternacht die gleichen Gesetze gelten wie für alle, und dass der gesetzlich verbriefte Schlaf der Flughafen Anrainer mehr wiegt als die Geschäfte unserer Fußballelite.
Seine Empörung über den verspäteten Abflug nach Katar kennt keine Grenzen. Wenn 2022 die Fußballweltmeisterschaft in Katar stattfindet, müssen homosexuelle Spieler und Besucher vor Ort sehr auf der Hut sein. Denn in Katar droht ihnen eine Haftstrafe bis zu fünf Jahre, für Muslime sogar die Todesstrafe.
Menschliche Grundrechte enden nicht an Grenzen. Wenn ein Land wie Katar diese Rechte mit Füßen tritt, sollten wir dort trotzdem an möglichst vielen weltoffene Veranstaltung mitwirken und diese keineswegs boykottieren, wie viele schwule Verbände immer wieder fordern. Denn nichts hilft den dort an Unterdrückung leidenden Menschen mehr als Weltöffentlichkeit. Möglichst viel davon, auch und gerade bei einer Fußballweltmeisterschaft.
Wenn sich Rummenigge tagelang in der Presse unflätig über Fluglotsen auslässt, die nur ihre gesetzlich und gerichtlich verordnete Pflicht tun, sollte er diese Protestenergie besser für das Ziel seiner Reise aufsparen und sich in Katar mit der gleichen Energie mit seinen schwulen Kollegen und Fans solidarisch erklären. Denn Menschenrechte kennen keine Grenzen.
Liebe ohne Pause
Jan
Webmaster
vom homo.net Team