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homo hapticus

homo.net Info vom 9. Juli 2020
von Webmaster Jan

 

„Eine Schildkröte knabbert sich aus ihrem Ei heraus, läuft zum Meer und hat dort ein schönes Leben, auch wenn sie außer zur Fortpflanzung niemanden berührt.“ Säugetiere dagegen brauchen Körperkontakt, damit ihr Gehirn reift. So auch der Homo sapiens: „Wir sind soziale Säugetiere“, sagt der Psychologe und Haptik-Forscher Martin Grunwald (54) von der medizinischen Fakultät der Universität Leipzig. Dieser Spezialist für tastendes Begreifen erklärt uns, warum wir ohne Tastsinn nicht leben können und Menschen so gern und viel berühren und umarmen:

„Umarmung ist die ursprünglichste Form von Nähe. Bevor wir sprechen, oder anders kommunizieren konnten, haben wir umarmt. Die Botschaft ist: Du gehörst zur Familie.“ Als Erwachsene mögen wir Umarmungen deshalb so gern, weil sie uns an die frühere Beziehung zu den Eltern erinnern.

Als Homo lieben wir Berührungen besonders gerne. Da kommt zur Umarmung häufig noch das Küsschen rechts, das Küsschen links, selbst das abschließende Küsschen in die Luft schmeichelt noch unserer Seele. Schöne, schwule Welt, die den angeblich richtigen Männern verwehrt bleibt.

Es ist nicht einmal immer wichtig, wer da berührt. Ein Besuch im Darkroom ist auch deshalb so aufregend, weil wir uns den Typen immer schöner denken können als er normalerweise ist. Es muss auch nicht immer der ganze Mann sein. Oft reicht schon ein Zipfelchen, einem Unbekannten dargereicht durch ein Loch. Glory, glory, Hallelujah!

Schon kleinste Berührungen können uns zu höchster Lust treiben, wenn wir es wollen. Wie wir unsere Augen schließen können, wenn wir was nicht sehen wollen, können wir selbst großflächig unseren Tastsinn auch abschalten. Ein nicht zu unterschätzender Vorteil in der überfüllten U-Bahn oder bei der Personenkontrolle im Flughafen.

Die Berührungen zu nahestehenden Menschen genießen wir besonders. „Forschung zeigt: Entspannung tritt am schnellsten auf, wenn der Partner oder die Partnerin einen berührt“, sagt Grunwald. „Wenn uns ein Physiotherapeut massiert, oder der Friseur uns den Kopf wäscht, braucht es länger, bis wir uns beruhigen und wohlfühlen.“

Sich selber zu umarmen, klappt nicht so gut, aber es ist besser als gar keine Berührung, wenn wir zu sozialem Abstand gezwungen sind. Es hilft der Teddy, eine Schmusedecke, ein paar Kissen mehr im Bett und auf dem Sofa. In berührungsarmen Zeiten ist es wichtig, nicht zu vergessen, dass auch unsere Haut fühlen will. Wir können sie stimulieren, zum Beispiel mit einem heißen Wannenbad, einer warmen Dusche, einem besonders angenehmes Kleidungsstück direkt auf der Haut getragen oder einem Massagegerät.

Am besten ist es, wenn die Haut von der Berührung überrascht wird. Bei Selbstberührungen ist also Abwechslung wichtig und ein gewisser Überraschungseffekt. Die Schlabberhose fühlt sich 1.000 Mal besser an, nachdem man sich drei Tage in eine eitel enge Stretchjeans der 1980er-Jahre gezwungen hat. Und drei Tage später dann wieder Stretchjeans. Ein Wechselbad der Gefühle. Einfach genial.

An eine Umarmung kommen diese Empfindungen dennoch nicht heran. Es gibt für Menschen keine Kompensation für Berührungen von anderen Menschen. Die Biologie hat uns zu Kontaktabhängigkeit verdammt.

Berühre mich,
Jan
Webmaster
vom homo.net Team

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