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Bedauernswert schwul

homo.net Info vom 10. Dezember 2020
von Webmaster Jan

 

Der Doktorand David Manzheley (29) veranstaltet mehrmals im Jahr schwule Feten in seiner Wohnung im Stadtzentrum von Brüssel. Er lädt etwa 10 Freunde ein und jeder bringt noch jemanden mit: „Wir reden ein bisschen, wir trinken ein bisschen - wie in einem Café. Der einzige Unterschied ist, dass wir zwischendurch auch Sex haben.“

Jetzt hat die Brüssler Polizei mit großem Aufgebot eine seiner Partys gestürmt: offizielle Begründung: Ruhestörung und Verstoß gegen die Ausgangssperre. Personalien feststellen. Bußgeld. Ende der Party.

Nun, nicht so ganz. Schon die Ausweiskontrolle stieß auf Hindernisse. Die Männer waren ja nackt, konnten sich also schwer ausweisen. Der prominenteste Partygast versuchte gar, über die Dachrinne zu entkommen. Leider hat er sich dabei verletzt, musste sich ergeben und sorgt seither für internationale Schlagzeilen.

Was in Ungarn alle wussten, die es wissen wollten, jetzt weiß es die ganze Welt: Der ungarische Europa-Abgeordnete József Szájer (59) ist schwul. Der Ehemann und Vater einer Tochter zählt zum Urgestein der konservativen Fidesz-Partei. 1988 Gründungsmitglied, dann Fraktionsvorsitzender, Vizepräsident, Europa-Abgeordneter und immer wieder Spezialist in Verfassungsfragen.

Er kämpfte dafür, das Leben von Schulen in Ungarn so unglücklich wie möglich zu machen. Unermüdlich stritt er gegen die Ehe für alle, gegen Gleichberechtigung und Akzeptanz von LGBT.

Dass sich Ungarn zunehmend zu einem minderheitenfeindlichen Autokraten-Staat entwickelt, verdankt es unter anderem Szájer. Er hat maßgeblich an der 2012 in Kraft getretenen Verfassung mitgeschrieben. Dort wurde verankert, dass eine Ehe nur aus einem Mann und einer Frau bestehen kann.

2015 wurden Szájer und sein Kollege Máté Kocsis (39) als schwul geoutet. Kocsis klagte wegen Verleumdung und verlor in 2. Instanz. Es ist also sicher auszuschließen, dass dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán (57) die sexuellen Interessen seines engen Vertrauten und Parteifreundes unbekannt waren.

Nach vielen Jahren gemeinsamer politischer Arbeit hat er Szájer jetzt einfach fallen gelassen wie eine heiße Kartoffel. Das längst bekannte Verhalten von Szájer sei plötzlich nicht mehr kompatibel mit den Werten der politischen Gemeinschaft. Szájer trat darauf aus der Partei aus, die er vor über 30 Jahren mitbegründet hat und deren schwulenfeindliche Politik er grundlegend mitgestaltet hat.

Diese Art der Heuchelei ist bei allen zeitgenössischen Populisten ein beliebtes Instrument, mit dessen Hilfe sie Millionen Wähler an der Nase herumführen. Auch Populisten wissen nur zu genau, wie rasch sich die Gesellschaft entwickelt. Natürlich müssen Homosexuelle die gleichen Rechte haben wie alle anderen auch.

Trotzdem laufen sie Sturm gegen die EU, Globalisierung, Homosexuelle, Flüchtlinge, gegen George Soros oder Bill Gates. Sie wissen nur zu gut, dass unter der Oberfläche der Gesellschaft viel Angst und Hass, Neid und Aggression brodelt. Deswegen bedienen sie Vorurteile statt die tatsächlichen Interessen der Gesellschaft.

József Szájer hat selbst immer besonders laut über Schwule und Lesben hergezogen. Dass nun viele schadenfreudig auf die Enthüllung seiner Doppelmoral schauen, ist verständlich. Gleichzeitig lohnt die Auseinandersetzung, wie es überhaupt soweit kommen konnte. Wieso kämpfen Politiker immer wieder gegen schwule Rechte, obwohl sie selber schwul sind?

Wer als schwuler Jugendlicher immer wieder hört, dass seine Sexualität eine Sünde sei, wer von anderen immer wieder mit Schimpfwörtern wie Schwuchtel, Hinterlader und Tunte konfrontiert wird, überträgt diese Feindseligkeiten mitunter auf sich selbst. Unsere Bilder von uns selbst schaffen wir nicht aus unserem hohlen Bauch heraus. Wir bekommen Informationen über uns selbst von anderen Menschen und verinnerlichen diese im Laufe unserer Entwicklung.

Gerade Politiker, die besonders homofeindlich auftreten, haben häufig Sex mit Männern. Es ist wohl ein allgemeiner psychologischer Mechanismus, dass wir etwas, das wir an uns selbst nicht mögen, bei anderen bekämpften. So kommt es nicht selten vor, dass diejenigen, die am heftigsten und unerbittlichsten gegen die Rechte von Homosexuellen wettern, dadurch ihre eigene Orientierung bekämpfen. Auch beim Klerus können wir das immer wieder beobachten.

Ob jemand diesen verinnerlichten Hass auch an andere heranträgt, hänge von der Lebensgeschichte der Person ab. Wenn Politiker mit homosexuellen Neigungen homofeindliche Politik betreiben, kann man davon ausgehen, dass sie selbst in einem extrem homofeindlichen Milieu aufgewachsen sind. Doch auch Neid spiele eine große Rolle. Wenn diese Menschen sehen, dass schwule Männer ein fröhliches, unbeschwertes Leben führen können, während sie selbst in schwulenfeindlichen Normen- und Wertesystemen gefangen sind, wächst die Aggression.

Dass ausgerechnet József Szájer aktiv daran beteiligt war, das Leben von queeren Menschen in Ungarn noch beschissener zu machen, ist fatal. Dass er es in Ungarns politischem Gefüge gerade auch deshalb so weit brachte, ist tragisch für alle. Jetzt wird er von der queeren Community mit Schadenfreude und Häme übergossen. Dabei ist es eigentlich traurig, dass Gesellschaften für manche so toxisch sein können, dass sie im Kampf gegen sich selbst auch ihren Mitmenschen Schaden zufügen.

Die italienische Street-Art Künstlerin Laika hat in Rom ein Denkmal gesetzt. „József Szájer: die neue ungarische Schwulenikone“ heißt das Werk und zeigt den bärtigen EU-Parlamentarier mit nacktem Oberkörper und Ledergurt. Sein Arm ziert eine Tätowierung mit einem Wappen in den Farben des Regenbogens. Im Hintergrund das Logo der Fidesz-Partei und eine Gruppe nackter Männer. „Scheiß auf Orbán, ich bin, was ich bin“, lautet die Bildunterschrift.

Laika erklärt dazu „Ich wünsche mir eine Welt, in der auch Szájer frei sein kann, seine Sexualität so zu leben, wie er glaubt, ohne sich vor den Augen seiner eigenen Partei verstecken zu müssen. Vielen Dank an József, für den schweren Schlag gegen die Intoleranz. Ab heute bist du die neue ungarische Schwulenikone“.

Es wäre wünschenswert, wenn József Szájer die Verantwortung übernähme für den Schmerz und das Leid, dass er queeren Menschen zugefügt haben. Dann könnte er tatsächlich und nicht nur ironisch zur neuen ungarischen Schwulenikone werden.

Auch Brüssel hat ein Andenken bekommen. Die inzwischen weltbekannte Dachrinne wurde von vier Ungarn mit einer Plakette versehen. Sie zeigt ein Foto des ehemaligen Politikers und den Text: „Hier endete die politische Karriere von József Szájer, EU-Abgeordneter von Fidesz und Mitglied der Europäischen Volkspartei, als er über die Dachrinne vor der Polizei nach einer illegalen Orgie am 27 November 2020 zu flüchten versuchte“.

Neben dem Männeken Pis, dem Grand Place und dem Atomium hat Brüssel nun also auch eine Dachrinne als neue Touristenattraktion.

Nicht schadenfroh sondern bedauernd
Jan
Webmaster
vom homo.net Team

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